XXXIII – Spitze Klingen, scharfe Worte Teil 1
Wieder ist es Juna, die Estelle dazu verhilft, die von Torben angebotene Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie ist seiner Auffassung darüber, dass ein Kleid für die Übungsstunden hinderlich ist, weshalb man die beiden Frauen dabei sehen könnte, wie sie einige Kleidungsstücke auftrennen und daraus Beinkleider und ein Oberteil für Estelle fertigen, die nah am Körper sitzen und in denen sich weder Klinge noch eigene Schritte verfangen können, die ihr andererseits gleichzeitig Bewegungsfreiheit für die Übungsstunden garantieren.
Juna erweist sich einmal mehr als geschickt, ebenso wie auch Estelle. Die beiden Frauen wissen sehr gut mit Nadel und Garn umzugehen. Dabei ist es jedoch Juna, die der Kleidung einen nordischen Stil verleiht, die mit den gängigen Zuschnitten kampfestauglicher Kleidung vertraut ist. Zudem hat dieses vorläufig kleine Geheimnis die beiden Frauen noch enger zusammen geschweißt, weshalb ihre gegenseitige Ansprache in ein vertrauliches „Du“ übergegangen ist.
„Wann willst du es ihm denn nun sagen, Kindchen?“, hakt Juna irgendwann in die Stille ein, in der die Frauen teils schweigend arbeiten, Naht um Naht auflösen und kurz darauf neu erstellen.
„Vorerst gar nicht. Alaric ist auf so… so vehemente Weise gegen die Vorstellung, dass ich mit einer Waffe umzugehen lerne, dass er wohl in schallendes Gelächter ausbrechen würde, falls ich mich doch als untauglich erweise. Bestenfalls.“
Kaum sichtbar zieht Juna die Augenbrauen hoch, doch Estelle entgeht es nicht.
„Was denn? Bist du anderer Meinung?“, hakt sie daher nach, während Juna sich bereits wieder über ihre Näharbeit beugt und leicht den Kopf schüttelt.
„Im Grunde genommen nicht, jedoch….“, lautet ihre erste Antwort. Erneut ihre Arbeit unterbrechen sieht die junge Wyrdin dann jedoch ernst an. „Ich denke nur, dass Heimlichkeiten nicht unbedingt das sind, was Vertrauen fördert.“, gibt sie schließlich in ihrer offenen Art zu bedenken.
Auch Estelle hat ihre Näharbeit sinken lassen, blickt Juna an und wägt deren Worte scheinbar ab.
„Ich weiß was du meinst.“, stimmt sie Juna im Ansatz zu, ein leises Seufzen von sich gebend, bevor sie sich erneut ihrer Näharbeit widmet. „Und ich habe auch darüber nachgedacht, glaube mir bitte. Nur...“, wieder sinken ihre Hände untätig in den Schoß. „Lass es mich einfach versuchen, Juna. Bitte. Nur ein- oder zweimal. Danach werde ich mit ihm reden, versprochen.“
Juna zieht ihre Schultern leicht hoch, bevor sie noch einmal ihren Kopf schüttelt und sich wieder an die Arbeit macht.
„Mir musst du gar nicht versprechen. Kindchen, es ist deine Sache.“, räumt sie ein. „Deine und die von Alaric. Und ihr beide seid es, um die es geht und die euren Weg finden müsst.“
„Wirst du es ihm denn erzählen, Juna?“
Juna lacht auf und winkt ab.
„Ich? Kyne bewahre mich davor, zwischen eure Fronten zu geraten.“
Still, jedoch auch einträchtig, arbeiten die Frauen im Anschluss an ihr kurzes Gespräch weiter und beenden schließlich, was sie begonnen haben: Beinlinge und ein Oberteil aus weichem Leder zu fertigen, die für die Übungsstunden zwischen Estelle und Torben getragen werden sollen.
Umso mehr wundert sich Estelle, als sie ihre erste Vorbereitung, ihre erste Aufgabe von Torben erhält. Leicht die Stirn runzelnd blickt sie ihn auch an und sieht herab zu ihren Füßen, vor denen ein mit Wasser gefüllter Eimer steht.
„Ich soll… den Eimer anheben?“
Zögerlich, die Augen auf den Holzeimer gerichtet, fragt sie nach, ob sie das wirklich richtig verstanden hat. Ein bekräftigendes Nicken, begleitet von einem geduldigen Lächeln ist die Antwort, die sie daraufhin von Torben erhält.
„Ihr benötigt mehr Kraft in Euren Armen, Estelle. Und glaubt mir…“, seine Hand weist kurz zu dem Eimer hin, bevor er fortfährt, „…nichts baut Eure Muskulatur besser auf, als wenn Ihr des Öfteren diesen Eimer mit ausgestrecktem Arm anhebt und Euren Arm auf Schulterhöhe führt, bevor Ihr ihn wieder absetzt und von vorn beginnt.“
Probehalber hebt Estelle den Eimer mit dem Wasser darin an, vollführt die aufgetragene Übung so, wie Torben es ihr aufgetragen hat. Ein Ziehen geht durch ihren Arm, nicht unangenehm, aber doch spürbar.
„Spürt Ihr es? Das Gewicht und die Spannung Eurer Muskulatur?“
Estelle nickt, führt die Übung weiter fort.
„Falls Euch der Eimer zu schwer ist, könnt Ihr ein wenig Wasser abgießen.“, räumt Torben ihr eine Möglichkeit ein. Noch nie hat er eine Frau unterwiesen, weshalb er sich nicht sicher war, mit wie viel Wasser er den Eimer befüllen sollte.
Estelle jedoch schüttelt den Kopf, während sie wieder und wieder den Wassereimer anhebt und ihren Arm ausgestreckt auf Schulterhöhe führt. Mit jedem Anheben hat sie dabei das Gefühl, dass der Eimer schwerer in ihre Hand wiegt, der Widerstand größer wird.
„Wie… lange soll ich das machen, Torben?“, erkundigt sie sich während des erneuten Anhebens.
„Täglich und so oft es Eure Zeit zulässt.“
„Nein. Wie viele Tage?“
„Wenn es Euch ernst ist, dann so lange, bis es Euch nicht mehr schmerzt.“
Torben’s Antwort lockt Estelle’s Blick wieder zu ihm.
„Na das kann ja dauern!“, seufzt sie, bevor sie den Eimer erneut anhebt, was ihr von Mal zu Mal schwerer fällt und ihren Atem ebenso schwerer werden lässt. Nach dem zehnten Stemmen nimmt Torben ihr den Eimer ab, stellt ihn auf die Seite. Estelle reibt ihre malträtierten Armmuskeln, als Torben mit einem leichten Einhänder zurückkommt und ihn ihr in die Hand drückt. Im ersten Moment entgleitet Estelle fast die Waffe.
Nach der Übung mit dem Eimer scheint ihre Hand, ihr Arm gerade über gar keine Kraft zu verfügen. Dennoch beißt sie die Zähne zusammen, bewegt ihren Arm leicht kreisend und versucht damit, ihre Muskulatur wieder zu entspannen, was ihr ein anerkennendes Lächeln von Torben einbringt.
„Ihr seid zäh, willig und zielstrebig. Das dürfte Euch zum Vorteil gereichen, M’lady.“, lobt er sie auch mit Worten, ehe er hinter sie tritt und ihren schwertführenden Arm anhebt, bis sie einen guten Blick auf ihren nun verlängerten Arm hat.
„Ihr müsst das Schwert locker und doch sicher zu halten. Es muss die Verlängerung eures Arms werden, eine Einheit aus Knochen, Muskeln, Sehnen und Metall.“
Langsam, eine Hand um ihre Taille legend, mit der anderen ihrem Arm führen, leitet Torben ihre Bewegungen von hinten her, lehrt sie die ersten Schritte mit der Waffe in der Hand. Für einen Außenstehenden mutet es wie ein Tanz an, den die beiden vollführen. Torben bewegt sich langsam mit Estelle, zeigt ihr die ersten Angriffs- und Rückzugsschritte, den Wechsel zwischen Vor- und Rückhand, während er ihr genauestens erklärt, wofür welcher Schritt, welche Waffenführungshand ist, welche Vor- und welche Nachteile es in sich birgt. Marius, der davor sein Kampftraining bei seinem Herrn hatte, hat es sich auf einem der Heuballen bequem gemacht. Nah bei den Pferden beobachtet er seinen Lehrer samt seiner Schülerin aus einer anderen Perspektive, während er hungrig einen Apfel verspeist.
Nach einer Weile entlässt Torben Estelle aus seinem Griff und tritt einige Schritte zurück.
„Ihr seid dran. Diesmal ohne meine Führung.“
Seine Arme vor der Brust verschränkend, betrachtet er nun aus einiger Distanz die Bewegungen seiner neuen Schülerin. Dabei sind es nur wenige Korrekturen, die er anmerken oder an ihr vornehmen muss. Seinen Beobachtungsplatz zwischendurch ändernd, Estelle mal von hinten, dann von der Seite und schließlich auch frontal beobachtend, wird sein Nicken zustimmender, sein Gesichtsausdruck deutlich zufrieden.